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20 Jahre nach 9/11 – oder die amerikanische Vertreibung aus Disneyland

20 Jahre nach 9/11 – oder die amerikanische Vertreibung aus Disneyland

Über die Zeitenwende, die die Angriffe des 11. Septembers 2001 – je nach Lesart – eingeleitet oder markiert haben, wird dieser Tage wieder viel gesprochen und berichtet. Oft liegt der Fokus hierbei auf der veränderten transatlantischen Sicherheitsarchitektur, deren unmittelbare Auswirkungen sich noch vor wenigen Tagen im katastrophalen Ende des Afghanistan-Kriegs zeigten. In Erweiterung dieser Perspektive haben wir den 20. Jahrestag von „9/11“ zwei Tage zuvor mit einer spannenden virtuellen Diskussion begangen, bei der der Fokus auf gesellschaftlichen Entwicklungen und der kollektiven Erinnerung lag.

Die Runde wurde moderiert von Frau Dr. Elisabeth Schäfer-Wünsche, die sich gleichermaßen mit der vielfältigen Zusammensetzung der US-Gesellschaft und der kulturellen Verhandlung von Traumata auskennt – und der es vor diesem Hintergrund meisterlich gelang, die verschiedenen Hintergründe und Perspektiven einzubinden. Den Anfang machte die US-Amerikanerin Daniela Vancic, die sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit für die Organisation Democracy International ehrenamtlich für Democrats Abroad, also das internationale chapter der Demokratischen Partei engagiert. Eindrücklich berichtete sie, wie die Anschläge des 11. Septembers ihr damaliges Grundschulleben komplett auf den Kopf stellten – und damit auch das kollektive Weltbild der Schüler*innenschaft, denn dass weder Lehrer*innen noch Eltern wussten, was nun passieren werde, habe damals sehr verunsichernd gewirkt. Dies, so Vancic später, sei wohl eine der prägenden Erfahrungen ihrer Generation geworden.

Der Sozialpsychologe Professor Scott Morgan von der amerikanischen Drew University griff diesen Gedanken mit Blick auf die politische Psychologie auf und verwies auf seine Forschungsthese, dass 9/11 für US-Amerikaner einer „Vertreibung aus Disneyland“ gleichgekommen sei: die vormals gefühlt unverwundbare Nation habe sich im kollektiven Sinne erstmals verletzlich gefühlt – was auch zu einer Verunsicherung und notwendigen Rückversicherung der eigenen moralischen Überzeugungen geführt habe. In diesem Zusammenhang betonte Elisabeth Schäfer-Wünsche unter allseitiger Zustimmung, wie wichtig Gefühle auch und gerade in der Politik seien. Diese würden oftmals mit Schwäche gleichgesetzt und öffentlich geleugnet – doch gerade letzteres sei gefährlich, da es mit unterdrückten Ängsten und Aggressionen einhergehe.

Der Experte für internationale Politik Dr. Axel Heck von der Universität Kiel pflichtete dem bei und erweiterte den Gefühlsdiskurs auf die internationale Politik – denn gerade mit Blick auf Kriege spielten Ängste eine oftmals unterschätzte Rolle. Er lenkte den Blick schließlich auf die Situation auf Afghanistan, deren jüngste Entwicklungen für ihn zwar vehement, aber leider nicht überraschend gewesen seien. Politischen Vergleichen mit dem Ende des Vietnam-Kriegs erteilte er dennoch eine Absage: Zwar seien diese verlockend – aber eben auch nicht mehr, was sich u. a. in der am Ende dann doch fehlenden gesamtgesellschaftlichen Ablehnung des Afghanistankriegs gezeigt habe (im Gegensatz zur Ablehnung des Vietnam-Kriegs, die eine ganze politische Generation geprägt habe).

zum Stream: https://youtu.be/gvQU1XAQWgI 

 

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